Villa Stuck
Nachtgesang
Editorial

Heidrun Sandbichler hat ein Werk geschaffen, das sowohl poetisch als auch bewegend ist. Es thematisiert die Wunden des Einzelnen und die kollektiven Narben der Gesellschaft. Für ihre subtile künstlerische Arbeit einen Katalog zur Ausstellung in der Münchner Villa Stuck zu gestalten, bedeutete ein Buch zu schaffen, dessen Grafik sich fast völlig zurücknimmt: Text bleibt Text, Bild Bild, alles Gestalterische verbirgt sich, wenn überhaupt, in Details. Das Buch erschien im renommierten Verlag von Gerhard Steidl in Göttingen, die Zusammenarbeit mit ihm war ungewohnt – und großartig.

Heidrun Sandbichlers Arbeiten sind reduziert und setzen dabei auf die Wirkungen des verwendeten Materials: Texte, Zitate, Bücher, Gebäude, Skulpturen, Zeichnungen, Montagen – einer Archäologin gleich arbeitet sie sich durch verborgene Bedeutungsschichten und legt dabei historische Bezüge frei, deren Botschaften freilich immer in die Gegenwart hineinwirken und von einer Geschichte der Gewalt, des Verdrängens und Vergessens erzählen. Manchmal sind ihre Arbeiten raumgreifend, wenn sie eine kleine, kaum wahrnehmbare Geste erst dadurch sichtbar werden lässt; manchmal zum Übersehen klein, wenn die Monstrosität eines Themas auf ein kleines Objekt hin verdichtet wird. Ihre Kunst ist unaufdringlich und geprägt von einer ästhetischen Zurückhaltung, die sehr weit von gängigen, markanten Statements entfernt ist.

Für eine Personale in der bekannten Villa Stuck in München im Jahr 2023 arrangierte die Künstlerin ihre Arbeiten gemeinsam mit Kuratorin Helena Pereña in den besonderen Räumlichkeiten dieses Jugendstilbaus. Auswahl und Platzierung der Arbeiten treten dabei in eine unmittelbar spürbare, intensive Auseinandersetzung mit der Villa selbst als Gesamtkunstwerk.

In manchen der gezeigten Werke arbeitet die Künstlerin mit dickflüssiger, dunkler Tinte. Für Heidrun Sandbichler trägt dieses Material Stille und Schmerz in sich und verlangt nach Aufmerksamkeit und intensiver Auseinandersetzung. Die Tinte evoziert Schrift und Gedächtnis und ist ein Symbol für ein kollektives Wissen, das sich nur in Form von Ahnungen und Schatten erschließt.

Die Gestaltung des Buchs nimmt darauf unmittelbar Bezug: Tiefschwarz umhüllt der Umschlag die Bilder und Texte des Buchs. Die Schweizer Broschur mit freiliegendem Rücken gibt den darin versammelten Materialien einen vorläufigen Charakter, wie eine Sammlung loser Blätter, die für diesen Moment in ein Gebinde zusammengefunden haben. Die Fadenheftung ist sichtbar, der schwarze Bindfaden wirkt, als würde durch den Druck der Bindung Tinte aus den Lagen laufen.

Die im ersten Teil des Buchs gezeigten Abbildungen bleiben ohne Kommentar, übergangslos startet auf Seite 109 der Textteil mit Beiträgen unterschiedlicher Autor*innen. Die Typografie im gesamten Buch reduziert sich im wesentlichen auf eine Größe, die gewählte Schriftart, die Walbaum von Justus Erich Walbaum, gilt neben der Bodoni und der Didot als eine der bedeutendsten Klassizistischen Antiquaschriftarten – und dabei als »humanste« und am besten lesbare. Die Wahl dieser Schrift verbindet aus einer historischen Betrachtung die Kulturräume Italien, Frankreich und Deutschland, auf die auch die Künstlerin in zahlreichen ihrer Arbeiten Bezug nimmt.

Dass dieser Ausstellungskatalog im Verlag von Gerhard Steidl in Göttingen erschien, war eine besondere Erfahrung. Wer den Film »How to Make a Book with Steidl« gesehen hat, weiß, wie sehr dieser Mann von seiner Mission, schöne Bücher zu drucken, durchdrungen ist – und das kam natürlich auch diesem Buch zugute: Von der Aufbereitung der Bilder und das genau auf das offenporige Papier abgestimmte Farbprofil in der Vorstufe über den speziellen Druck mit eigens abgestimmten Farben bis hin zur Bindung und dem federleichten Papier, das das Buch schützend umhüllt – so etwas erlebt man nicht allzu oft im Lauf eines Gestalterlebens.

Am Ende entstand ein Buch, das sich ganz in den Dienst der schwierigen Darstellung der subtilen Kunst von Heidrun Sandbichler stellt. Grafik und Ausstattung sind sichtbar und spürbar – und zugleich nicht, so selbstverständlich und beiläufig wirken die fertig arrangierten Seiten. Die Gestaltung liegt in den Details der Typografie, der gewählten Materialien und des Drucks verborgen und schiebt sich möglichst wenig zwischen Buch und dem darin abgebildeten und kommentierten, künstlerischen Werk.

Gerhard Steidl hat übrigens, außer bei der Druckmaschine, meistens wenig Zeit, was auch nicht verwundert, wenn man die Liste seiner Kund*innen kennt, in der vieles vertreten ist, was in Kunst, Mode und Literatur weltweit von Rang und Namen ist. Seine Kommentare zur Gestaltung blieben deshalb auch meist knapp. – Kurz vor der Drucklegung brach es anlässlich eines Telefonats und zu unserer großen Erleichterung aber aus ihm heraus: »Ganz kurz zum Buch: Die Typografie so perfekt gesetzt, auch die Platzierung der Bilder, so schlicht, so einfach – großes Lob, so muss man Bücher gestalten.«

Kunde

Villa Stuck – Heidrun Sandbichler

Art Direction

Kurt Höretzeder, Thomas Schrott

Verlag & Druck

Steidl Verlag

Realisierung

2023

»Ganz kurz zum Buch: Die Typografie so perfekt gesetzt, auch die Platzierung der Bilder, so schlicht, so einfach – großes Lob, so muss man Bücher gestalten.« Gerd Steidl, 7.6.2023

Die Gestaltung liegt in den Details der Typografie, der gewählten Materialien und des Drucks verborgen und schiebt sich möglichst wenig zwischen Werk und künstlerischem Ausdruck.

Projektbeschreibung

Manchmal sind ihre Arbeiten raumgreifend, wenn sie eine kleine, kaum wahrnehmbare Geste erst dadurch sichtbar werden lässt; manchmal zum Übersehen klein, wenn die Monstrosität eines Themas auf ein kleines Objekt hin verdichtet wird.

Projektbeschreibung

Tiefschwarz umhüllt der Umschlag die Bilder und Texte des Buchs. Die Schweizer Broschur mit freiliegendem Rücken gibt den darin versammelten Materialien einen vorläufigen Charakter, wie eine Sammlung loser Blätter, die für diesen Moment in ein Gebinde zusammengefunden haben.

Projektbeschreibung